Caliandro.de - Blog

Obstbaumschnitt - Erste Schritte für Anfänger

Inhaltsverzeichnis

baumschnitt1.jpg Seit 2019 haben wir einen Garten mit sechs größtenteils alten Obstbäumen (drei Äpfel, eine Birne, zwei Zwetschgen).

Nachdem meine Schwager mit Schnitterfahrung aus seiner Zeit als FSÖJ’ler letztes Jahr die Bäume nach einigen Jahren ohne Schnitt bearbeitet hatte und die Ernte in 2020 reichlich war, habe ich es in diesem Frühjahr selbst probiert.

Meine Erfahrungen und Wissen halte ich hier für mich und alle, die es interessiert fest.

Hinweis: Der Artikel konzentriert sich voll auf den sogenannten Verjüngungsschnitt alter Bäume. Dies scheint mir auch die leichteste Übung zu sein, da der Baum schon eine Struktur hat und nur noch in Form gehalten und vor dem Vergreisen geschützt werden muss.

Vorbereitung

Dank der Pandemie sind in 2020 und auch jetzt in 2021 alle Schnittkurse in der Gegend gestrichen worden. Daher habe habe zur Vorbereitung zwei Obstbaumschnitt-Bücher aus der Bibliothek gelesen und zwei kurze Videoanleitungen auf youtube angesehen und einen kurzen Text online gelesen:

Zeitdruck, Fitness und Sicherheit

Eins noch vorne weg:

Jeder, der schon mal mehrere Zimmerdecken hintereinander gestrichen hat, kennt es, wenn das Überkopf-Arbeiten anstrengend wird. Das Schneiden von drei Bäumen (ohne Hochentaster) hat ungefähr drei Stunden gedauert - es mag schneller gehen, wenn die Routine und der Blick da ist. Du solltest fit sein, ausgeruht, keinen Zeitdruck haben und immer wieder Pausen einlegen. Jedes Jahr gibt es schwere Stürze bei Baumschneideaktionen im Privatbereich.

Wenn du eine Leiter verwendest, weil der Baum zu hoch ist oder der Hochentaster fehlt oder du sägen musst: Gönn dir die Sorgfalt, die Leiter wirklich sicher aufzustellen und anzulegen und binde sie fest, wenn du keine Erdspieße an den Leiterfüßen hast.

Werkzeuge

Minimum:

  • Bypassschere
    • gute Klinge, sauberer Schnitt ohne Fransen bis 25mm Astdurchmesser
  • Astschere (= Bypassschere mit sehr langen Griffen
    • gute Klinge, sauberer Schnitt ohne Fransen bis Daumendicke
  • Holzsäge
  • Leiter (passend zur Größe des Baums)
  • Kamera (Vorher-Nachher Fotos sind für Anfänger sehr nützlich)

Optimale Ausstattung:

  • Klappsäge (Baumsäge)
  • Hochentaster ([2021-02-27 Sa] zum ersten mal eingesetzt und ich bin echt zufrieden (Eigenmarke Hornbach)
  • Handschuhe (weniger wegen der Säge und Schneide und mehr zum Schutz vor Kraztern durch das Holz). Vor allem dann wichtig, wenn man in den Baum steigt und sich durch dichtes Geäst arbeitet.
  • Schutzbrille oder Sonnenbrille (es fällt beim Schneiden vom Boden aus mit der Astschere Baumbewuchs, alte Rinde usw. herunter, einiges landet im Auge..)
  • Baumleiter mit Erdspießen, alternativ eine zweite Person, die die Leiter sichert.
  • Behältnis zum Sammeln des Schnittguts

hochentaster.jpg

Ein Hochentaster erleichtert die Arbeit sehr

Der Zeitpunkt

Winterschnitt

Immer möglich an frostfreien Tagen (und Nächten). Ansonsten könnte der Baum an den Schnittwunden Schaden nehmen. Empfohlen wird eine Arbeitstemperatur >= 8 Grad.

  • Vorteile
    • Keine Blätter, keine Früchte am Baum
    • Keine anderen Gartenarbeiten zu tun = Zeit
  • Nachteile
    • Die senkrecht gewachsenen Triebe (Wasserschosser oder Wasserreisser) sind schon deutlich länger und nur noch mit einer Schere zu entfernen
    • Wenn man die Wasserschosser nicht plan abschneidet, treiben an der Schnittstelle mit hoher Wahrscheinlichkeit neue aus
    • Es ist kalt
    • angeblich regt der Winterschnitt mehr zum (Holz-) Wachstum an

Sommerschnitt ( ca. Juli-August)

  • Vorteile
    • Die Wasserschosser Triebe sind noch winzig und lassen sich mit der Hand abreissen. Diese Risswunden verheilen besser und es treiben keine neuen Wasserschosser an der Stelle aus
    • Man gibt den reifenden Früchten noch mehr Licht und Wachstumsanregung
    • Man sieht, wo der Baum gut trägt
    • angeblich regt der Sommerschnitt nicht so stark zum Wachstum an

Der Schnitt

Disclaimer: Was jetzt kommt, ist keine allumfassende Anleitung. Du solltest mindestens eines der Videos von oben gesehen haben

Was schneiden/sägen?

  1. Schneide alles ab, was

    1. senkrecht nach oben oder unten wächst (siehe Abschnitt Sonderfall Wasserschosser)
    2. sich kreuzt und scheurt (nur einen davon)
    3. aufs Nachbargrundstück wächst (bzw. sprich mit deinem Nachbarn)
    4. tot oder brüchig und gefährlich oder krank ist
    5. zu dicht ist und dadurch den darunterliegenden Ästen Licht nimmt
    6. zu lang ist
    7. Schneide die Äste auf ungefähr gleiche Länge
    8. Schneide Disbalancen raus (wenn der Baum auf einer Seite viel mehr

    Äste und Holz als auf der anderen Seite hat

  2. Krone auslichten
  3. Längenwachstum begrenzen
  4. Kleine Triebe am Baumstamm, die nicht die Leitäste sind (nennt sich „Stamm putzen“)

Im Grunde geht man wie ein Friseur vor. Schau dir daher gerne ein paar vergleichbare Bäume an, damit du ein Bild vom ordentlichen Schnitt im Kopf hast. Wurde der Baum schon länger nicht mehr geschnitten, muss nicht alles im ersten Jahr weg. Empfohlen wird 2/3 der gerade gelisteten Äste entfernen und 1/3 stehen lassen und im nächsten Jahr oder im Sommer bzw. Winter weiter machen

Wie schneiden/sägen?

  1. Äste, die man ganz entfernt, schneidet man direkt am Baumstamm (nennt sich „auf Astring schneiden“). Man läßt nur wenig übrig, damit der Baum gut verheilen kann
  2. Wasserschosser möglichst plan am Ast. Dabei wirklich so plan wie möglich schneiden
  3. Verzweigte Triebe an Knospen/Augen so abschneiden, dass einige mm stehen bleiben. Die Wunde trocknet ein und dabei kann auch die stehengelassen Knospe verholzen, wenn plan geschnitten wurde
  4. Dicke Äste müssen spätestens dann gesägt werden, wenn deine Astschere nicht mehr weiterkommt
  5. Entlastungsschnitt: Bei großen oder langen Ästen nicht direkt am Stamm sägen, da das Gewicht den Ast auf halbem Sägeweg einreißen lassen wird und dann große Teile der Rinde und Substanz am Stamm beschädigt werden können. Hier wird folgendes Vorgehen empfohlen
    1. Stamm von unten halb durchsägen (=/„Entlastungsschnitt“/)
    2. Hierbei ausreichend Abstand zum Stamm lassen
    3. Dann von oben noch ein Stück (10-20cm) außen entfernt vom Entlastungsschnitt den Ast von oben normal absägen
    4. Jetzt lasten kein Gewicht mehr auf dem verbleibenden Aststummel und du kannst nahe am Stamm auf „Astring“ schneiden.

Fotodokumentation (mach es nächstes Jahr besser!)

Mach ein Vorher- und Nachher Foto und wiederhole es im Folgejahr.

  • Sind im Folgejahr noch mehr Wasserschosser gewachsen bzw. ist der Baum insgesamt stark gewachsen, war der erste Schnitt wohl zu radikal und sollte dieses Jahr moderater ausfallen.
  • Hat der Baum viele Früchte getragen, gab es Stellen ohne Früchte, achte beim Schnitt besonders auf die Blütenknospen in diesem Bereich, damit nicht zu viele abgeschnitten werden
  • Neigt sich der Baum zu einer Seite, wird also schief, kann die Balance durch Reduktion von Holz auf der stärkeren Seite wieder hergestellt werden.
  • Lerne für dich die Konsequenzen deiner Schnitttechnik durch die festgehaltene Veränderung über mehrere Jahre
  • Sei stolz auf die echt harte aber schöne Arbeit, die du geleistet hast

Schnittweisheiten (aufgesammelt - alle ohne Gewähr)

  • Schnitt-Fokus auf Langtriebe
  • einjähriges Holz nicht anscheiden (erkennbar am silbrigen Schimmer)
  • Kernobst um 1/3 zurückschneiden
  • Steinobst um 2/3 „
  • glatte Schnittflächen hinterlassen
  • Gesetz der Saftwaage (=gleichlange Äste) beachten
  • Juniriss (Wasserschosser lassen sich ab Juni bzw. beim Sommerschnitt am einfachsten entfernen)
  • Willst du den Baum wachsen sehen, schneide im Winter. Willst du ihn tragen sehen, schneide ihn im Sommer

Sonderfall Wasserschosser

Zur Wiederholung: Wasserschosser (oder Wasserreisser) werden senkrecht nach oben wachsende Triebe genannt. Da diese keine Früchte tragen, sind sie im Streuobstwiesen 1x1 zu entfernen. Schneide sie plan ab, damit nicht die sogenannten „schlafenden“ Augen aktiviert werden und neue Wasserreisser nachwachsen (teilweise sogar zwei wie bei einer Hydra). Sind es noch junge Triebe, kannst du sie im Sommer („Juniriss“) von Hand einfach abreissen. Geht schneller und ist für den Baum auch besser zu heilen als eine Schnittwunde. Angeblich pumpt der Baum auch am meisten Energie in die obersten, senkrechten Triebe, um das Höhenwachstum anzutreiben. Diese Energie würde dann beim Ausbilden der Früchte fehlen. Besonderheit: Hat der Baum viele Wasserschosser ausgebildet, wurde er durch bisherige Schnittaktionen stark zum Wachstum angeregt. In diesem Fall wird empfohlen, nur 2/3 der senkrechten Triebe zu entfernen und das restliche Drittel stehen zu lassen und diese beim Sommerschnitt oder beim nächsten Winterschnitt zu entfernen. So soll der Baum weniger zum Wachsen angeregt werden.