Hybride Retrospektiven mit Fokus auf vor Ort Anwesende
Warum on-site first? Heißt es nicht bei hybrid immer remote first?
Um mich hier kurz zu fassen: Der Nachteil einer remote first Hybrid Retrospektive ist, dass die Personen im Meetingraum isoliert auf ihren Laptop starren werden und parallel Chats und Mails aufblinken und dann besser eine pure Remote Retro stattfinden sollte.
Wie ich darauf gekommen bin und wieso ich diesen Artikel erstellt habe
In der Vergangenheit hatten wir schon öfters unerwartet eine Person ungeplant bei der Präsenzveranstaltung vor Ort oder die Meetingraumtechnik hatte einen Schuß. Als Workaround habe ich mit dem Dienst-Smartphone die Remote Teilnehmeneden bestmöglich eingebunden und mir aus der Erfahrung ein simples Telefon Dreibeinstativ für ca. 7€ angeschafft, das ich im Büro lagere. Bei diesen Veranstaltungen waren die remote Teilnehmer leider immer Teilnehmende zweiter Klasse. Sie waren nicht immersiv eingebunden und wurden von den Anwensenden auch immer wieder übersehen und vergessen.
Ich hatte vor wenigen Wochen eine Retrospektive für ein anderes Team übernommen. Drei von zwölf Personen konnten mit Ansage nicht ins Büro kommen. Das Thema war wichtig und emotional, daher war die gemeinsame Interaktion im Büro zu wichtig, um eine reine remote Retrospektive abzuhalten.
Da ich mich hier rein aufs Moderieren beschränken durfte und nicht Teil des Teams war, hatte ich genug Zeit und Ruhe, den hybrid on-site first Ansatz vorzubereiten. Das Feedback der Teilnehmer, remote wie im Büro war super. Vor allem die Remote Teilnehmer waren begeistert, wie intesiv sie Teil der Gruppe waren. Für mich als Moderator war das Setting sehr schnell vorbereitet und ohne merkliche Mühen durchführbar.
Online habe ich zu hybrid on-site first eigentlich nichts interessantes finden können, scheinbar propagieren alle hybrid remote-first, daher war mir dieser Artikel wichtig.
Wann genau ist hybrid on-site first attraktiver?
- Wenn die Retro vor Ort geplant war und kurzfristig wenige Personen nicht anreisen können, man sie aber integrieren will
- Wenn die Retro als Präsenz Event schon aufwändig vorbereitet wurde
- Wenn es um emotionale Themen geht, es derzeit Spannungen im Team gibt, die man remote nicht rauskitzeln konnte
- Wenn man beide Teilnehmerkreise bestmöglich aktivieren und mitnehmen will
Was braucht es an Equipment
- Basics
- Der Meetingraum sollte Telco-technisch mit guten Mikros, Videokamera und großem Bildschirm ausgestattet sein
- Der Raum hat Whiteboards, Flipcharts etc
- Moderatorenkoffer
- Telco App, die duale Einwahl per Laptop und Smartphone simultan erlaubt, in meinem Kundenprojekt Cisco Webex
- Zusätzliches Equipment
- Smartphone mit hochwertiger Kamera
- Telco App auf dem Telefon
- Ein Smartphone Teleskop Stativ (gibt es für wenige Euro als ausziehbares Dreibein-Stativ & Selfie Stick)
Vorbereitung
- Das Stativ im Vorfeld auf das Whiteboard ausrichten, Smartphone aufladen
- Kamera des Smartphones mit der Telco App testen, meistens ist die Front-/Selfie Kamera besser geeignet als die Back-/Hauptkamera
- Sitzmöglichkeiten so anordnen, dass freie Sicht auf das Whiteboard gewährleistet ist und die Personen im Raum ohne Halsverrenkungen das Whiteboard und den Monitor im Raum sehen können
- z.B. Flipcharts/Whiteboards neben dem Monitor platzieren
Durchführung
Im folgenden Beispiel findet eine klassisches Start - Stop - Continue Retrospektive statt.
- Die Personen im Raum schreiben ihre Beiträge auf Post It’s und behalten diese bei sich bis zum Ende der Sammlungsphase. Bitte sie, möglichst knapp und groß zu schreiben. Nutze dickere Stifte anstelle von Fineliner und Kugelschreiber
- Du stellst sicher, dass alle remote Teilnehmer ihre Kamera einschalten, damit man trotz des hybriden Settings Blickkontakt aufnehmen kann
- Die Personen remote schreiben per Chat ihre Beiträge mit dem Keyword Start:Beitrag.. , Stop:Beitrag…
- Als Moderator schreibst du die Chat-Beiträge auf die Karten (bei mehreren Personen Initialen oder ein eindeutiges Symbol vermerken); diese Karten sammelst du bei dir
- Nun wählst du dich per Smartphone ein und richtest dessen Kamera auf das Whiteboard aus (im Vorfeld testen, ob die Back- oder Frontkamera besser geeignet ist. Üblicherweise ist die Frontkamera hier besser
- Teile in Webex die Kamera des Smartphones über die Bildschirmfreigabe, damit das Bild wirklich groß und deutlich für alle remote Teilnehmer als zentales Video sichtbar wird. Zusätzlich können die remote Teilnehmer jetzt deine Videofreigabe aktiv per Webex Zoomfunktion anapssen
- Die Personen im Raum gehen nacheinander zum Whiteboard, lesen den Inhalt ihrer Karten laut vor und heften sie ans Board
- Als Moderator gehst du stellvertretenden für die Remote Teilnehmer ans Board und richtest die Karten in die Kamera. Der Autor der Karte erkennt so direkt seinen Beitrag und liest in selbst vor und kann Klärungsfragen beantworten. Wenn man das gut gestaltet, hat es in Verbindung mit dem großen Telco Monitor im Raum etwas von Augmented Reality
Ab jetzt geht es in Gruppierung, Voting der Top Themen und so weiter. Die Kamera des Smartphones bleibt hierbei auf das Whiteboard gerichtet. Die Kamera des Meetingraum zeigt die Teilnehmer im Raum und der Monitor die Remoteteilnehmer.
Dadurch hat man volle Flexibilität und nimmt alle Teilnehmer bestmöglich mit. Es entsteht keine gesonderte Gruppendynamik vor Ort, die die meisten Hybrid Termine erschwert
Herausforderungen
- Man sollte mit der Telco Technik des Raums und der Telco App, speziell die Smartphone Version vertraut sein
- Sind zu viele Personen remote, wird das Transkribieren ihrer Chat Beiträge aufwändig, hier bei mehr als drei remote Teilnehmern eine zweite Person als Unterstützung beauftragen bzw. auf eine reine remote Retro umschwenken
- Remote Personen schalten die Kamera nicht ein oder wieder aus: Da hilft nur der direkte Hinweis. Wer damit nicht einverstanden ist, sollte den Termin verlassen. Wird im Normalfall niemand tun
- Technische Probleme im Raum: Passiert selten, es muss improvisiert werden
- Technische Probleme bei einem Remote Teilnehmer: Davon ausgehend, dass du alleine moderierst, solltest du keine Zeit auf Tech-Support aufwenden. Entweder sie bekommt es schnell alleine gelöst oder muss sich leider ausklinken. Da du hier parallel mit zwei Arten von Publikum hantierst, führen auch nur 2-3 Minuten Fokus auf die Technik dazu, dass der Flow und die Verbindung zwischen den Teilnehmern abbricht und die ungeliebten Dynamiken im Raum in Form von Nebengesprächen, Kaffee holen, Mails bearbeiten etc. einsetzen
Tipps
- Üben: Hast du andere Scrum Master oder Moderatoren zur Hand, läßt sich das Setting hervorragend gemeinsam üben
- Friendly User Test: Teste es in dir vertrauten Teams, die offen für Experimente sind