Bullet Journal vs. emacs Org-Mode - Digitales und analoges Zeit- und Taskmanagement im Vergleich
Ich habe über die Jahre viele analoge und digitale Taskmanagement-Systeme, Todo Listen, Zeitmanagement Tools usw. ausgetestet und bin nach knapp 20 Jahren bei Org-Mode und Bullet Journal hängen geblieben. Doch welches ist besser geeignet und kann man sie kombinieren?
Update
In dieser Woche habe ich mal wieder eine stärkere Verwendung von orgmode getestet. Hintergrund ist eine neue Mission bei einem meiner Kunden, die aus sehr vielen parallelen Einzelthemen besteht. Kann ich hier weiterhin vorwiegend analog mit dem BulletJournal den Überblick wahren oder wäre aufgrund der Informationsflut orgmode der bessere Kandidat?
Während das Bujo mich förmlich zwingt, die Informations- und Aufgabenflut stark einzudämmen und zu priorisieren und somit Einfluss auf den IST-Zustand zu nehmen (Stichwort Deep Work und Slow Productivity), würde mir orgmode erlauben, auf dieser „Flutwelle“ zu surfen.
Wie ich beim Schreiben dieser Zeilen selbst bemerke, ist mir Ersters deutlich lieber, da ich nachhaltige Verbesserungen mitgestalten und nicht in den reaktiven Modus zurückfallen möchte.
Hier sehe ich schön den Fluch und Segen digitaler Organisationstools wie orgmode: Sie ermöglichen ein Überleben im IST-Zustand der Geschäftigkeit (Busyness) des Berufsalltags mit >=100 E-mails und >=5 zeitgleichen Prio1 Themen. Vielleicht verleiten sie uns auch dazu, nicht am Grundzustand zu kratzen und stattdessen direkt in die Action zu gehen.
Mein Ergebnis der Woche war dementsprechend auch so, dass ich sehr viele Daten erfaßt, sehr viele Tasks erledigt und noch mehr Tasks und Ideen festgehalten habe. Zur Reflexion und zur Verbesserung der IST-Situation bin ich dagegen nicht wirklich gekommmen! Dazu zwingt mich nur das limitierte, analoge Papierformat und das ständige, handschriftliche Übertragen von Aufgaben und Daten. Ich bin am Ende des Tages nunmal ein analoges Wesen mit Fokus auf Energieeinsparung.
So werde ich wohl weiterhin mit dem Bujo-first Ansatz arbeiten und orgmode wie im Blogpost als Braindump Tool zur mittel- und langfristigen Speicherung von Informationen, zur Erstellung von Texten und Konzepten und zur Protokollierung in aktiven Brainstorm-/Denkprozessen nutzen.
Bullet Journal Kurzvorstellung
Beim Bullet Journal handelt es sich um einen sehr gut durchdachten Planer in Form eines leeren/unbedruckten Notizbuchs. Durch die leeren Seiten ist das Bullet Journal perfekt an die eigenen Bedürfnisse anpassbar. Auf mich wirkt es, als sei es erst nach der Verwendung von digitalen Planern als analoge Antwort entstanden. Hervorzuheben sind
- Rapid Logging
- Flexibilität
- Collections
- Task Migrationen
- Zwingt zur Reduktion
Ausführliche Details und eine gute Anleitung gibt es direkt auf der Homepage des Schöpfers https://bulletjournal.com
Orgmode Kurzvorstellung
Ich bin schon mehrfach daran gescheitert, Informatikern das orgmode System verständlich zu erklären. Daher hier nur kurz zusammengefasst:
- Rein textbasiert
- Textformat
- Matroschka-artige Hierarchien ermöglichen eine tolle Übersicht und bei Bedarf eine erschlagende Detailtiefe
- Hoher Nerd-Faktor
- Harte Lernkurve
- Verwende nur die Tastatur
- Massig Shortcuts lernen
- Blitzschnelle Datenerfassung
- Geniales Agendasystem
- Vermutlich das mächtigste Agenda Tool, wenn man es gemeistert hat
- FOSS (Free Open Source Software / frei verfügbare Quellen)
- Mehr als nur ein Planer, eigentlich für alles mit Text einsetzbar
- emacs-powered
- flexibel
Die orgmode Homepage selbst ist nicht sonderlich verlockend gestaltet, hätte ich nicht vor vielen Jahren einen Artikel in einem Linux Magazin dazu gelesen, würde ich es heute nicht kennen. Mangels attraktiverer Links gibts von mir nur https://de.wikipedia.org/wiki/Org-mode
Gegenüberstellung beider Systemen
Was | Bujo | orgmode | Bujo Details | orgmode Details |
---|---|---|---|---|
Sicherheit/ | - | + | Verlust | automatische Backups |
Vertraulichkeit | Backup nicht möglich | PGP Verschlüsselung für wichtige Bereiche | ||
ungeschützt | digital unbegrenzt haltbar | |||
Lagerung über lange Zeit | ||||
Durchsuchbarkeit | - | + | Inhaltsverzeichnis/Index | integrierte „Suchmaschine“ für alle Dateien inkl. Archiv |
Review | + | - | einfach und notwendig | neigt zuVernachlässigung aufgrund unbegrenztem Speicherplatz einfach |
Fokus | + | - | Voller Fokus dank Handschrift | Filterung auf bestimmten Task möglich, aber auch Anzeige aller Tasks |
Langsameres Arbeiten führt zu Achtsamkeit | Vernachlässigt man die Review, wird man mit der Zeit von der Fülle | |||
der Tasks überwältigt | ||||
Identifikation | + | - | Mitschleifen von nie erledigten | Dank unbegrenztem Speicher und Such- und Filterfunktion kostet das |
überflüssiger Tasks | Tasks ist anstrengend | Mitschleifen von Tasks keine Mühe und macht die Identifikation schwerer | ||
Terminplanung | - | + | Mittels Future Log und Disziplin, ok bei wenigen Terminen | Geniale Agenda Funktion, Erinnerung, automatischer Tages-/Wochenplaner |
Keine Reminder | ||||
Klappt bei mir beruflich nur in Kombi mit digitalem Kalender | ||||
Aufwandserfassung | -- | + | Handarbeit | integrierte Zeiterfassung mit tollen Analysemöglichkeiten (clock in/out und clocktables) |
Projektplanung | + | + | Für private oder Kleinprojekte gut mittels Collection | Für private und Kleinprojekte gut mittels Tags |
Für richtige Projekte mit mehreren Beteiligten und komplexen Abhängigkeitsfolgen ungeeignet | Für richtige Projekte mit mehreren Beteiligten und komplexen Abhängigkeitsfolgen ungeeignet | |||
Besser geeignet sind Multiuser-Systeme wie Kanboard und Planungstools wie ProjectLibre | Besser geeignet sind Multiuser-Systeme wie Kanboard und Planungstools wie ProjectLibre | |||
Entspannungsfaktor | + | + | Handschreiben entspannt und baut Stress ab | Man erfasst einfach alles, kann dadurch „nichts“ vergessen. Diese Sicherheit kann Stress vermeiden |
Nichts zu vergessen kann aber auch Stress aufbauen | ||||
Informationen festhalten | + | + | Rapid Logging. Später schwer auffindbar, wenn man die Informationen nicht in separate | Stichwort „second brain“. Man kann alles spontan notieren und taggen und dank der Suche immer |
Collections überträgt und regelmäßig überfliegt | wieder finden | |||
Ideen festhalten | + | + | Begrenztheit an Papierseiten und Aufwand des Notierens führt zu einer natürlichen Auslese | Erfordert Review Disziplin, da unbegrenzt Ideen speicherbar |
und Pflege von wenigeren, dafür guten Ideen | ||||
Meetingprotokolle | 0 | + | Kein Computer beim Meeting nötig! | Tippen sehr schnell |
Handschreiben langsam | Nachträgliches Sortieren und Gruppieren in orgmode blitzschnell und sehr bequem, vor allem, wenn man in kreativen Meetings mit vielen Ideen und Erkenntnissen jongliert | |||
Spätere Nachbearbeitung und Digitalisierung aufwändig | Tipperei im Meeting kann stören | |||
Späteres Wiederauffinden aufwändig | Späterer Export in HTML, Excel und andere Formate möglich | |||
Texte konzipieren | - | + | Umsortieren von Abläufen oder Gedanken aufwändig | Texte fürs Internet, für Präsentationen, für Bücher, für Geschichten gut zusammenstellbar |
Nur für das Big Picture geeigent | Export und automatisierte Weiterbearbeitung möglich | |||
Kein Computer nötig | ||||
Endzeit-Faktor | + | - | Kein Strom | orgmode speichert als reines Textformat, dadurch sind die Dateien mit jedem beliebigen |
Papier + Stift reichen | Texteditor lesbar und damit problemlos übernehmbar | |||
quell-offen | ||||
Mobilitäts-Faktor | + | + | Das übliche A5 Notizbuch passt in jede Tasche und ist überall einsatzbereit, egal ob in der Bahn oder auf einer Parkbank | Mittels Smartphone App und Cloud überall dabei und nutzbar |
Security-Faktor | + | + | Eine furchtbare Handschrift ist eine lausige Form der Verschlüsselung | Starke Verschlüsselung mittels GnuPG möglich |
Rein offline. Einsicht nur durch Verlust oder physischen Diebstahl | Früher oder später wird scheinbar jeder Cloudspeicher gehackt. Daher ist die Onlinespeicherung unverschlüsselt nicht risikolos | |||
Auswertung nur manuell und mit viel Aufwand möglich | Auswertung automatisiert sehr leicht zu bewerkstelligen | |||
Kein Backup bei Zerstörung oder Verlust (ist mir bei einem Starkregen schon teilweise passiert) | Digitale Kopie als Backup leicht realisierbar | |||
Gedächtnis-Faktor | + | - | Handschreiben führt zu einer besseren Einprägung der Informationen | Gewollt gering, da ja alle Daten immer wieder leicht auffindbar sind |
Regelmäßige Taskmigration führt zu ständiger Wiederholung der Informationen | Grundidee: Aus den Augen, aus dem Sinn, freier Kopf für die aktuelle Aufgabe |
Mein Umgang mit beiden Systemen
Ein paar Kontextinformationen zu meiner Situation
Im Beruflichen und Privaten habe ich über viele Jahre sehr stark mit orgmode gearbeitet, alle Tasks, Termine, Kleinprojekte, Aufwände und Informationen damit erfasst. Leider habe ich die Reviews nicht so regelmäßig ausgeführt bzw. sind es auch einfach zu viele Daten geworden, weil ich einfach alles eingetippt habe, was um mich herumgeschwirrt ist.
Ergebnis: Irgendwann war meine Tagesagenda mit Aufgaben für einen ganzen Monat überbevölkert und ich habe den Fokus verloren.
Parallel habe ich berufsbedingt auch extrem viel Zeit am Computerbildschirm verbracht und wollte zumindest bei den Meetings, die bis zur Hälfte meines Arbeitstages einnehmen können, auf den Laptop verzichten. Im Privaten hat mein großer Sohn seine ersten Schreibversuche gemacht und mir ist aufgefallen, dass ich schon seit sehr langer Zeit nichts mehr handschriftlich geschrieben habe. Ich hatte nie eine gute oder gleichmäßige Handschrift mit dem Füller, kann aber ganz gut zeichnen und auf großen Tafeln/Whiteboards schreiben. Dazu bin ich Linkshänder und habe die Hakenhaltung als Kind gelernt, um das eben Geschriebene nicht sofort wieder zu verschmieren.
Um meinem Sohn ein Vorbild zu sein, habe ich mit dem BulletJournaling im Privaten begonnen und mir wieder einen Füller zugelegt. Da meine ersten Seiten ziemlich hässlich waren und die Tinte wieder verschmiert wurde, habe ich mich etwas eingehender mit der Linkshänder Problematik beschäftigt und mit 39 Jahren das Handschreiben neu gelernt. Als Folge des Trainings schreibe ich nicht schneller, aber endlich gleichmäßig, für meine Verhältnisse schön und ohne Verschmieren, vor allem aber habe ich den Spaß am Schreiben von Hand für mich (wieder-) entdeckt (Linkempfehlung LinkeHand.at).
Wie ich heute arbeite
Privat
Für Aufgaben und spontane Notizen nutze ich nur noch das BuJo. Informationen sammle ich ausschließlich mit orgmode.
Bei Terminen unterscheide ich zwischen einmaligen (Bujo) und wiederholenden wie Kaffeemaschine entkalken
(orgmode mittels repeat Funktion).
Beruflich
Ich mische mittlerweile BuJo, orgmode und da wo es sinnvoll ist auch Office Tools (als Überbegriff für andere Organisationssoftware).
Als großen Vorteil sehe ich es, in Meetings ohne Computer voll präsent zu sein und meinen Augen eine Bildschirmpause zu gönnen
und natürlich der Zwang zur Langsamkeit Überlegtheit und die Beschränkung auf das Essentielle, ohne die ein Bullet Journal nicht funktioniert.
Was | BuJo | Orgmode | Office Tools |
---|---|---|---|
Aktuelle ToDo’s | x | ||
Zukünftige ToDo’s | x | x | |
Meeting Notizen | x | ||
Meeting-Termine | x | ||
Delegierte Tasks | x | ||
Brainstorming Termine | x | ||
Erkenntnisse | x | x (Übertrag aus BuJo) | |
Informationen | x | ||
Kritik | x | ||
Sensible Informationen | x (PGP) | ||
Passwörter | x (PGP) | ||
Team/Gruppeninfos | x | ||
Projekte | x (Makroinfos) | x | |
Review | x | ||
Ideen | x | x | |
Priorisierung | x | ||
Texte | x | ||
Präsentationen | x | ||
Konzepte | x | ||
Reden(-vorbereitung) | x | ||
Workshopvorbereitungen | x |
Wie man anhand dieser Tabelle sieht, nutze ich weiterhin beide Tools intensiv. Wenn ich in Ruhe Dinge vorbereite wie Workshops, Reden oder Präsentationen ist die Outliner Funktion von orgmode unübertroffen, um Ordnung in meine Gedankenflut zu bringen. Bei Priorisierung und Planung meiner Aufgaben und Arbeitszeit und vor allem bei der regelmäßigen Reflexion ist wiederum das Bullet Journal der optimale Begleiter. Ich habe bisher noch kein anderes Medium gefunden, dass mich so ablenkungsfrei und gnadenlos dazu zwingt, mich mit den wirklich wichtigen Themen auseinanderzusetzen.
Zu nützlichen Ritualen sind mein Weekly Review am Montag morgen geworden, meine 3-Minuten Daily Review zum Feierabend sowie der Wochen- und Monatsabschluss. Alles wäre auch mit orgmode alleine möglich, aber ähnlich wie beim zu Fuß gehen vs. Auto fahren verpaßt man bei der schnelleren Methode oft die wirklich wichtigen Dinge.